Die Nord Stream, auch Ostsee-Pipeline, ist ein System von Unterwasser-Gasleitungen, die von Russland nach Deutschland verlaufen. Die ersten beiden Stränge der Pipeline (Nord Stream 1) wurden im November 2011 eingeweiht und verlaufen von Wyborg nach Lubmin bei Greifswald. Das zeitlich darauf folgende, ähnliche Projekt Nord Stream 2 besteht ebenfalls aus zwei Röhren und läuft geografisch etwa parallel. Die Verlegearbeiten des ersten Stranges wurden am 4. Juni 2021 abgeschlossen. 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas soll die Pipeline Nord Stream 2 pro Jahr von Russland nach Mecklenburg-Vorpommern mitten durch die Ostsee transportieren.
Eigentümer und Betreiber der Nord Stream 1 ist die Nord Stream AG, deren Anteile von Gazprom (51 %), E.ON (heute Uniper), Wintershall (beide Deutschland), Gasunie, OMV (Österreich) und Engie (Frankreich; vormals GDF SUEZ S.A.) gehalten werden. Eigentümer der Nord Stream 2 ist die Nord Stream 2 AG, die vollständig zum mehrheitlich staatlichen russischen Gazprom-Konzern gehört.
Unwirtschaftlich und unökologisch
Jedoch sei eine zusätzliche Leitung zur Sicherung der Erdgasversorgung in Deutschland und Europa laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung unnötig und wirtschaftlich unrentabel. Es besteht weder kurz- noch langfristig eine Deckungslücke für Gas. Die bestehende Gas-Infrastruktur deckt den aktuellen und zukünftigen Bedarf.
Vielmehr drohen durch Nord Stream 2 gefährliche Lock-in-Effekte, die den Ausbau erneuerbarer Energien verzögern werden. Gas als eine klimafreundliche Brückentechnologie ist ein Mythos. Das Gegenteil sei der Fall. Durch die Methanemissionen bei Förderung, Transport und Nutzung sei Erdgas ein Klimakiller, genau wie Kohle. Erdgas besteht zu fast 100% aus Methan (CH4), was ein potentes und aggressives Treibhausgas ist, dessen Treibhauspotenzial mehr als 100-mal stärker als das von CO2 ist. Werden die gesamten Lebenszyklus Emissionen berücksichtigt, liegt die Klimabilanz bei hohen Leckage-Raten in der Förderung oder dem Transport ungefähr bei der von Kohle. Angesichts der bereits fortgeschrittenen Ansammlung von Treibhausgasen in der Atmosphäre kann der Ausbau neuer Gas-Infrastruktur im ungünstigen Fall das Erreichen von Kipppunkten im Klimasystem beschleunigen, was den Klimazielen von EU deutlich widerspricht. Die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen 2015 führen eindeutig dazu, dass keine fossile Infrastruktur – und damit auch keine Erdgasinfrastruktur mehr errichtet werden darf. Wir müssen aller spätestens bis 2050 aus den fossilen Energien aussteigen. Das neue Gasterminal wird aber frühestens im Jahr 2025 fertig gestellt. Das wird sich nie amortisieren. Statt Milliarden Euro einer rückwärtsgewandten Technologie einzuführen, sollte Deutschland lieber zukunftsfähige und umweltfreundliche Projekte finanzieren.
Große Schaden für die Meeresökosysteme
Naturschutzorganisationen Europas sind besorgt – falls das Projekt umgesetzt wird, wird Deutschland die in dem Pariser Klimaabkommen 2015 beschlossenen Ziele nicht mehr erreichen können. Deutschlands gebrochene Verpflichtungen werden katastrophale Folgen für die Umwelt haben und die ersten Anzeichen davon sind jetzt schon zu spüren. Die Problematik der Verunreinigung durch Leckage war bereits aus dem ersten Projekt Nord Stream bekannt. Schon damals musste die Feuerwehr Strände von Schmierfetten reinigen. Zurzeit scheint Nord Stream 2 gehofft zu haben, ähnliche Vorfälle vertuschen zu können. Laut Landesumweltministerium hatte der Pipelinebauer bei einem Baggerschiff Unregelmäßigkeiten festgestellt, die zu Schmierfett-Verunreinigungen führen können. Das wurde nicht an die zuständigen Behörden gemeldet, sondern lange verschwiegen. Außerdem werden beim Bau der Pipeline hochgiftige Chemikalien verwendet, die Gesundheit der Menschen und Meerestiere beeinträchtigen.
Seit 2018, als mit dem Projekt begonnen wurde, bewertete der Naturschutzbund Deutschlands das Projekt kritisch. Die Trassenführung durch fünf Meeresnaturschutzgebiete führt zu irreparablen Schäden der empfindlichen Meeresumwelt der Ostsee. Typische Lebensräume sind gefährdet oder schon gänzlich verschwunden – und das ohne triftigen Bedarf, denn in Deutschland besteht es weder kurz- noch langfristig eine Deckungslücke für Gas.
Kampf mit der Kohle ist noch nicht hinter uns – jedoch werden wir schon mit dem nächsten Klima-Killer konfrontiert. Die Regierungen müssen verstehen – wir brauchen Taten, keine Worte. Wir fordern sofortigen Austritt Deutschlands aus dem Projekt Nord Stream 2 und stattdessen mehr Investition in die zukunftsfähigen Projekte.
Lobbymächte
Die Pipeline Nord Stream 2 ist nicht nur ein extrem umweltschädliches Projekt, es ist auch ein Beispiel für die innigen Beziehungen zwischen Bundesregierung und Lobbymächten der Erdgasbranche. Eine Studie von LobbyControl und Corporate Europe Observatory zeigt, wie die Bundesregierung regelmäßig die Interessen der Konzerne durchsetzt. Zum Beispiel, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hinter verschlossenen Türen mit der Gasindustrie verhandelt, dass der fossile Energieträger als Übergangstechnologie bei der Energiewende eine wichtige Rolle spielen soll. Bei der Schätzung des Gasbedarf griff man dabei auf die überschätzten Zahlen von Nord Stream 2 zurück, anstatt sich auf die von der Bundesregierung beauftragten Recherchen zu stutzen.
Deutschland setzt sich deshalb für Nord Stream 2 ein, weil Gasprom beste Verbindungen in höchste politische Kreise hat. Zu den prominenten Beispielen zählt der Altbundeskanzler Gerhard Schröder, der sowohl ein Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Nord Stream AG ist, als auch Aufsichtsratsvorsitzender beim russischen Ölkonzern Rosneft. Ein weiterer Fall ist Marion Scheller. Die ehemalige Referatsleiterin im Bereich Energiepolitik im BMWi wurde im September 2016 Cheflobbyistin bei Nord Stream.
Der angebliche „Dialogprozess“ Gas 2030, der von der Deutschen Energie-Agentur Dena organisiert wurde, spielte sich in den ersten Monaten vollständig hinter verschlossenen Türen ab. Die Treffen von Unternehmenslobbyist*innen und Beamt*innen fanden statt; nicht einmal das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit war eingeladen. Im Auftrag des Umweltbundesamts durchgeführte unabhängige Studie floss nicht in den Dialogprozess ein, weil sie zu dem Schluss kam, dass bei Einhaltung der Klimaziele der Gasbedarf zurückgehen werde. Darüber hinaus wird der aus fossilem Erdgas hergestellte „blaue Wasserstoff“ in dem Bericht des Dialogprozess als CO2-neutral bezeichnet und zur Nutzung empfohlen, einschließlich der riskanten CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS).
In der Zeit der Klimakrise sind wir, meiner Meinung nach, dazu verpflichtet, uns mit solchen Themen zu befassen. Die Entscheidungen, die wir heute treffen, werden die Zukunft unserer Kinder direkt beeinflussen. Es ist unsere Verantwortung, von den Politiker*innen zu verlangen, dass solche naturzerstörende Projekte sofort gestoppt werden! Mehr Entscheidungsmacht für die Wissenschaftler*innen und die Menschen, weniger für die Lobbymächte!
Quellen
Titelbild: Ulrich Baumgarten, Getty Images