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Blogeintrag

Gesunder Nationalismus vs Tyrannei

oder
Was die Deutschen von der Ukrainer lernen können?

Ich möchte zunächst kurz etwas über mich erzählen. Ich heiße Iryna und komme aus Lviv in der Ukraine. In Lviv wurde ich geboren und dort bin ich aufgewachsen, aber für mein Studium bin ich nach Karlsruhe gezogen. Ich liebe mein Mutterland, die gutmütigen Menschen, die reichhaltige Kultur und die melodische Sprache. Ich bin glücklich darüber genau hier und frei geboren worden zu sein. Und darüber, dass ich die Chance hatte die ukrainischen Kunst, den unzerstörbaren Geist und das unüberwindbaren Verlangen nach Freiheit kennenzulernen. Es tut mir in der Seele weh, wenn ich daran denke, dass mit der russischen Invasion vor sechs Jahen das friedliche Leben einigen unserer Gebieten ein Ende gefunden hat. Mein Herz blutet, wenn ich Geschichtsbücher lese. Vielleicht ist das der Grund, warum ich – wie viele Ukrainer:innen – den Wunsch nach Bewahrung der Kultur und nationalem Würde als einen Schlüssel zum Erlangen von Freiheit und wahrer Unabhängigkeit sehe.

In Deutschland wird darüber nicht gesprochen

Als ich nach Deutschland kam, hat mich eine Sache überrascht. Die Menschen hier haben Angst über Patriotismus zu reden. Die abscheulichen und schrecklichen Taten von Nazi-Deutschland im letzten Jahrhundert sind kein Geheimnis. Das ist der Grund warum das Wort “Nationalismus” bei den älteren unangenehme Erinnerungen hervor ruft und bei der Jugend eine unerträgliche Scham gegenüber dem Ruf ihres Landes erzeugt. Nur ein kleiner Prozentsatz der Bürger bezeichnet sich hier als Patrioten und das sind die Menschen, die sich von der „Politik“ Hitlers nicht distanzieren. Sie werden wohl von der Alternative für Deutschland und ihrer Postion am rechten Rand gehört haben. Ihre Repräsentant:innen versuchen alles um Deutschland vor Ausländern zu “retten”. Sie verweigern ihnen essentielle Menschenrechte und verwehren Flüchtenden die Aufnahme in Europa. Flüchtenden, die ihre Leben im Mittelmeer riskieren, um aus Ländern in denen Krieg, Hunger und Tyrannei an der Tagesordnung ist, zu fliehen.

Unvorstellbare Heuchelei strömt aus ihren Lippen, während Deutschland – wie fast alle europäischen Länder – auf Migranten angewiesen ist, die vor allem in der Landwirtschaft arbeiten. Die Ausbreitung des Coronavirus hat vor kurzem deutlich gemacht, wie wichtig diese Menschen für die Funktionsfähigkeit des alltäglichen Lebens und die Aufrechterhaltung der Lieferketten für das Notwendigste sind. Dennoch werden diese Menschen nie ein Wort des Dankes von AFD hören. Einige Anhänger haben hingegen eine Vergangenheit in Neonazi Gruppen, die für Angriffe auf Ausländer und das verursachen von Disharmonie und Chaos in der Gesellschaft verantwortlich sind.

Das ist das Bild, welches die Deutschen vor Augen haben, wenn sie an Nationalismus denken. Die AfD und Gleichgesinnte nennen sich schamlos wahre Patrioten, diffamieren damit das Bild des Mutterlands und bereiten den Boden für brutale Übergriffe. Keine Person, die wenigstens ein bisschen gesunden Menschenverstand hat, würde sich in diesem Klima selbst als Patriot bezeichnen. Über Liebe zur eigenen Nation wird geschwiegen und sie wird gewissermaßen gefürchtet. Die Deutschen bevorzugen das Wort “Internationalist”.

Es ist so falsch und widerwärtig, dass etwas so schönes, natürliches und wertvolles wie die Liebe zum Mutterland Scham hervorruft.

Patriotismus ist keine Tyrannei, sondern Liebe

Meiner Meinung nach ist es für diese Rassisten an der Zeit, die Augen zu öffnen und sich der Wahrheit zu stellen: Sie sind keine Patrioten, nur Abschaum und Außenseiter. Glücklicherweise sind sie zu klein und machtlos, um tatsächlich einen Wandel zum Schlechten zu bewirken und niemand kooperiert mit ihnen. Endlich ist es vorbei mit dem Verstecken hinter trügerischen Slogans! Ich möchte, dass die Deutschen sehen, was ich sehe. Wenn ich eine Deutsche wäre, wäre ich stolz auf dieses Land. Ich bin schon stolz nach fünf Jahren hier. Ich liebe Deutschland, weil es eine Menge zu lieben gibt. Nein, nicht für diesen Haufen jammernder Bastarde, die schon bald jeglichen Respekt und alles Vertrauen verlieren werden. Sondern für die gerechte Gesetze, saubere Straßen und erhaltene Natur. Für die Demokratie, blühende Wissenschaft und Toleranz. Für eine moderne Gesellschaft, die über Gerechtigkeit und Humanität wacht und die Fehler der Vergangenheit anerkennt. Deshalb sollten die Deutschen erhobenen Hauptes voranschreiten und nicht verzagen. Genau wie die Ukrainer:innen haben sie ein beeindruckendes kulturelles Erbe. Außerdem floriert hier die Industrie, sie kämpft nicht nur ums Überleben. Die große Anzahl an Flüchtlingen und Einwanderern ist ein Beweis dafür. Wie viele Menschen konnten hier Schutz und Perspektive finden! Wie viele Akzente kann man auf der Straße im modernen Deutsch hören, wie viele Merkmale verschiedener Nationalitäten kann man auf den Straßen sehen! Ist es nicht wunderbar? Es gibt eine Sache die alle Menschen vereint: Dankbarkeit gegenüber Deutschland für die Chance ein neues Leben zu beginnen und der Wille, dieses Land noch erfolgreicher zu machen.

Sie sehen also, wahrer Patriotismus vereint uns. Wir sollten Immigration nicht ablehnen, sondern der Welt zeigen, dass unsere Heimat gastfreundlich ist, dass wir immer etwas zu bieten haben für jeden der sich dafür interessiert. Die Tatsache, dass eine Menge Leute Deutsch lernen und am Wohlergehen dieser Nation arbeiten, bedeutet, dass dieser Staat gedeiht und modern ist. Deutschland ist eines der fortschrittlichsten Länder der Welt und zeigt welche politischen Reformen durchgeführt werden müssen, um ein demokratischer europäischer Staat zu werden. Sagen Sie mir, ist das nicht ein Grund stolz zu sein?

Deutsche Patrioten, ich appelliere an euch! Wenn ihr schmerzendes Herzens auf euer Land schaut, gaubt nicht, dass die AfD eure Interessen vertrete. Erlaubt diesen Banditen nicht das Ansehen der Nationalisten zu beschädigen. Steht auf und reden frei über die Liebe zu eurem Land! Nein, nicht auf das Deutschland welches Hitler gefolgt ist (ihr seid nicht verantwortlich für die Fehler eurer Vorfahren) sondern für das tolerante und so vielfältige Deutschland, das wir heute haben. Niemand sollte rassistisch, auf Grund von Nationalität, sexueller Orientierung, Geschlecht oder Religion diskriminiert oder verachtet werden.

Revolution der Würde

Lassen Sie mich zur Ukraine zurück kehren. Ich komme aus dem westlichen Teil des Landes, wo die Menschen für ihren Patriotismus bekannt sind. Die Bürger von Lviv und vielen angrenzenden Städten lehnten schon vor der Revolution der Würde die pro-russische Politik Yanukovytschs scharf ab. Aber an dem Tag, als der ehemalige Präsident das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht unterschrieb, demonstrieren wir alle zusammen auf dem Maidan – Ost und West, Nord und Süd. Unser patriotische Geist brachte die Menschen einmal mehr zum Kampf gegen die Diktatur. Wir wollten Demokratie und europäische Reformen trotz und wegen der Schwäche und Korruption unserer Behörden. Wir Ukrainer:innen tragen schon immer demokratische Werte in unseren Herzen.

Foto: Iryna Yaminska

Nach einem brutalen Massaker an friedlich Protestierenden stieß Yanukovych auf noch mehr Widerstand und floh aus dem Land. Die russischen Medien “nutzten” diesen Augenblick um Fake-News über einen angebliche Machtübernahme der Nazis in der Ukraine zu verbreiten. Bis zum heutigen Tage vergleichen diese Medien die Maidan Demonstranten mit Banditen. Warum? Weil wir Freiheit und Demokratie wollten? Weil unsere Absichten nicht zu ihrer invasiven Politik passten? Russlands Behörden verwandeln ihre Bürger vor den Fernsehbildschirmen in Zombies und schwelgen noch heute in Nostalgie über ihre „Erfolge“ im 2. Weltkrieg. Wer sich ihnen entgegenstellt ist ein Nazi. Das ist die Rhetorik von Russland. (Wie ironisch, wenn man bedenkt, dass die russische Politik unter AfD Anhängern sehr beliebt ist)

Schlussendlich konnten die russischen und pro-russischen Medien mit Lügen über „Kyiwer Nazis“, „Banderivtsi“ und „Kannibalen die russische Babys essen“ einige Bewohner der Ost-Ukraine davon überzeugen, dass das Leben unter der Herrschaft des Kremls besser sein würde. Mit der Annexion der Krim und der Invasion östlicher Gebiete der Ukraine begann Putin einen zwecklosen Krieg, in welchem sein 2014 schon mehr als 14.000 ukrainische Soldat:innen und Zivilisten umgekommen sind.

Mit dem Begriff „Ukrainische Nationalisten“ säten die russischen Medien Zweifel und versuchten die europäische Staatengemeinschaft gegen uns aufzubringen. Aber lassen Sie mich, ein Mensch geboren im Herzen des ukrainischen Patriotismus, der diese Mentalität absorbiert hat, Ihnen eines über unseren Nationalismus erzählen. Ohne die Patrioten wäre es nicht zur Revolution der Würde gekommen. Die Ukraine wäre längst zu einer russischen Kolonie und der Weg in die Europäische Union für immer versperrt worden. Russische Propaganda, sei sie noch so einflussreich, kann nicht von dem Fakt ablenken, dass die Menschen auf dem Maidan, diese Nationalisten, für demokratische Werte standen und stehen. Sie wollten leben wie in Deutschland. Diese „Banderivtsi” starben durch Geschosse von Scharfschützen, nur weil sie ein teil der EU sein wollten. Die Älteren und die Jugend, Menschen verschiedener nationaler Minderheiten, vereinten sich nicht, um jemanden an die Spitze der Macht zu drängen, sondern für eine Herrschaft der Gerechtigkeit in unserem Land. Wir taten dies, aus Liebe zu unserer Ukraine, die wir befreit vom Einfluss der Aggressoren sehen wollten.

Wir lieben unser Mutterland aus den selben Gründen aus denen wir unsere Eltern lieben. Viele meiner deutschen Freunde sagten mir: „Wir müssen uns um die ganze Welt kümmern und uns nicht auf unser Land konzentrieren“. Ja, dem kann ich zustimmen, aber haben wir nicht zu aller erst gelernt unsere Mutter zu lieben, bevor anfingen, die anderen zu lieben? Ebenso kann man die Welt nicht lieben, ohne deren Teil zu lieben, an dem man aufgewachsen ist. Das ist das einzige und wahre Zeichen eines gesunden Nationalismus. Alles andere ist Tyrannei.

Schließlich, wenn Sie bis hierher gelesen haben, hoffe ich, dass ich die Lügen der russischen Progpaganda über uns, ukrainische Patrioten, zerstreuen konnte. Die Europäer haben keinen Grund, sich vor uns zu fürchten. Sind es doch wir, die mehr als jeder andere von der Europäischen Union träumen. Besonders in Lviv, wo neben einer blau gelben Flagge immer auch eine blaue mit einem Kreis aus Sternen weht. Die Menschen hängen diesen von ihren Balkonen in der Hoffnung, eines Tages Teil jener Gesellschaft zu sein, in der die Menschenrechte das höchste Gut sind.

Ich werde immer stolz meine Flagge tragen. Nicht gegen jemanden, sondern Hand in Hand mit all den anderen einzigartigen und verschiedenen Nationen. Ich glaube daran, dass wir zusammen eine bessere Zukunft aufbauen können, in es keinen Platz für Unterdrückung, Diktatur, sinnlose Kriege und Machtkämpfe gibt, sondern Liebe, Freiheit und Brüderlichkeit regiert.

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